Ein Stipendium fürs Nicht-Studieren
Schonmal darüber nachgedacht, für die Selbstfindung Geld zu verlangen? Eine Privatuni spendiert Abiturienten ein ganzes Jahr Pause und zahlt dafür 700 Euro im Monat.
Abiturienten lernen in zahllosen Berufsvorbereitungsveranstaltungen, dass zu geradlinig verlaufende Lebensläufe fad wirken. So dekorieren sie sich die Zeit zwischen der letzten Abiprüfung und der ersten Einführungsveranstaltung mit Auslandsaufenthalten in Südamerika oder Umweltprojekten im Schwarzwald. Horizont erweitern, ja gerne, aber bitte sinnvoll. Nur die Zeit, um sich selbst zu finden, nehmen sich die wenigsten. Wie auch? Da bleibt die Angst, nichts Nützliches zu schaffen, etwas zu verpassen und dabei auch den Eltern auf der Tasche zu liegen.
Ausgerechnet das Stipendium einer Privatuni soll das nun ermöglichen. Das Programm Pfad.finder der Uni Witten/Herdecke orientiert sich weder an schulischer Leistung noch an sozialem Engagement und auch nicht an finanzieller Bedürftigkeit. Für diese Förderung müssen Abiturienten die Bereitschaft zeigen, sich selbst suchen, finden und verwirklichen zu wollen. Die Stipendiaten bekommen ein Jahr Zeit und 8.400 Euro.
Soviel Geld fürs Nichtstun? Nein, ohne eigenes Projekt gibt es keine Unterstützung. «Wir können uns einen eigenen Internetblog vorstellen, eine Forschungsinitiative oder vielleicht ein Urban Gardening Projekt. Hauptsache, man überzeugt die Jury, warum gerade dieses Vorhaben gefördert werden soll», sagt Mira Maier von der Initiative für transparente Studienförderung, die das Stipendium zusammen mit der Uni entwickelt hat.
Außerdem können die Stipendiaten kostenlos alle Kurse und Seminare der Uni besuchen. Auch das Geld fließt aus Töpfen der Privatuni Witten/Herdecke, und zwar aus den studentisch verwalteten Studiengebühren. Ob die Bewerber neben sich selbst auch noch gleich die richtige Uni für dieses neue Ich finden und ob diese dann zufälligerweise die Uni Witten/Herdecke ist oder nicht, steht den Stipendiaten laut Maier absolut frei. Aber eine Verbindung bleibt gewiss, denn selbst die Bewerber, die keinen Platz bekommen, dürfen an einer Schnupperwoche teilnehmen. Gefördert werden letztendlich aber nur drei von ihnen.
Maier, die selbst an der Uni Witten/Herdecke promoviert hat, will mit ihrer Initiative die Studenten berücksichtigen, für die es sonst keine Förderungen gibt. «Raum für persönliche Entwicklung kommt zu kurz», sagt sie. «Junge Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich zu entfalten und nicht nur von Karrierepunkt zu Karrierepunkt hetzen, Praktika abfeiern und ständig den Lebenslauf optimieren.»
Die Zeitung «Zeit»
Kostenlose Lebensmittel: Ein Uni-Kühlschrank, fast wie im Märchen
Elf Millionen Tonnen Essen landen alljährlich im Müll. Weil sich das ändern soll, haben Aktivisten an der Uni Darmstadt einen Kühlschrank für gerettete Lebensmittel aufgestellt. Den füllen sie bis obenhin — und jeder kann sich daran bedienen.
Gerade war der Kühlschrank in einem kleinen Raum an der Darmstädter Uni noch leer. Doch jetzt füllt er sich rapide: mit Käse, Wurst, Joghurt und Gemüse. Lecker sehen die Lebensmittel aus — doch sie wären im Abfallcontainer gelandet, wäre nicht eine Gruppe junger Leute eingeschritten und hätte sie zur Uni gebracht. Zugreifen kann nun jeder, der möchte, ob Student oder Nichtstudent, Hartz IV-Empfänger oder nicht. Foodsharing heißt das Konzept.
Bundesweit gibt es Leute, die übrig gebliebenes Essen aus dem eigenen Haushalt oder von Supermärkten kostenlos auf der Internet-Plattform foodsharing.de oder über Facebook anbieten und so vor der Mülltonne bewahren. Mehr als 38.300 aktive Benutzer in mehr als 200 Städten führt die Foodsharing-Plattform derzeit auf.
In Darmstadt zählt die Gruppe rund 20 Engagierte. Seit Anfang des Jahres der jederzeit öffentlich zugängliche Kühlschrank an der TU aufgestellt wurde, holen sie zweimal pro Woche aus mehreren Supermärkten Übriggebliebenes ab und stecken es hinein.
Elf Millionen Tonnen Verschwendung
«Wer sich etwas herausnimmt, wissen wir nicht. Doch der Kühlschrank ist jedes Mal am nächsten Morgen leer», sagt Sebastian Werner, der seit etwa einem Jahr beim Foodsharing mitmacht. Wachgerüttelt habe ihn ein Film über die unfaire Verteilung und die Massenproduktion von Lebensmitteln, berichtet der Maschinenbau-Student. Danach habe er zunächst für sich selbst Lebensmittel aus Containern von Supermärkten geholt. Doch er habe mehr bewirken wollen, auch für andere, sagt der 29-Jährige.
Gruppen, die übrig gebliebene Lebensmittel teilen, gibt es auch in anderen hessischen Städten, darunter Wiesbaden und Frankfurt. Als Konkurrenz zu den Tafeln, die Übriggebliebenes aus Supermärkten an arme Menschen verteilen, sehen sich die Foodsharer nicht: «Wir gehen an Tagen in die Märkte, an denen die Tafel nicht kommt. So schließen wir Lücken», sagt Werner.
Einen Mangel an weggeworfenen Lebensmitteln gibt es in Deutschland beileibe nicht. Knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittel sind es pro Jahr, wie schätzungsweise aus einer Studie der Uni Stuttgart von 2012 hervorgeht.
Auch deshalb hat der Bundesverband Deutsche Tafel mit dem Foodsharing kein Problem, ganz im Gegenteil: Ziel sei in beiden Fällen, Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen, sagt eine Sprecherin. Foodsharer dürften Lebensmittel annehmen, die die Tafeln wegen rechtlicher Bestimmungen gar nicht weitergeben dürfen.
Smartphone-App in Planung
Probleme mit verdorbenen Lebensmitteln oder Vandalismus habe es bisher nicht gegeben, sagt Ulrike Beck vom Vorstand des Vereins Foodsharing mit Sitz in Köln, Betreiber des gleichnamigen Internetangebots, das Ende 2012 online gegangen ist. Initiator ist Valentin Thurn, der 2011 mit dem Film «Taste the Waste» die alltägliche Lebensmittelverschwendung angeprangert hatte.
Die Zahl der Plattform-Nutzer wächst laut Beck kontinuierlich. Als nächstes Projekt nennt sie eine App, um das Teilen von Essen für Smartphone-Benutzer einfacher zu machen. Auf dem Programm steht auch das Expandieren in weitere Nachbarländer, Österreich und die Schweiz sind bereits an Bord.
Die Bundesregierung startete vor zwei Jahren eine Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung. Unter dem Motto «Zu gut für die Tonne» ruft das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter anderem dazu auf, bewusster einzukaufen und Reste besser zu verwerten. Die zugehörige App ist laut einem Sprecher bisher rund eine halbe Millionen Mal heruntergeladen worden. Foodsharing sieht das Ministerium positiv: «Das ist etwas, das in unsere Richtung geht.»
Nächstes Ziel der Darmstädter Gruppe ist, noch mehr Privathaushalte zum Mitmachen zu bewegen. Denn von dort stammen fast zwei Drittel allen Lebensmittelmülls, wie Werner sagt. Erreichen will die Gruppe das mit mehr Aufklärungsarbeit und noch mehr öffentlich zugänglichen Kühlschränken — wenn sich denn weitere geeignete Orte und Sponsoren dafür finden lassen.
SpiegelOnline